Abdankungsfeier Ces Keiser, Grossmünster Zürich, 12.3.2007

Liebe Margrit, liebe Söhne, liebe Familie, liebe Trauergemeinde, oder warum nicht einfach, liebe Trauerfamilie, denn wenn ich mich umschaue, habe ich das Gefühl, wir alle hier seien eine grosse Familie, und wir alle haben jemanden aus unserer Familie verloren, einen unserer älteren, möchten wir uns zum Trost sagen, und merken, wie sehr wir ihn immer als jüngeren gesehen haben, sehen wollten; nun hat man uns gesagt, er sei tot, und unsere Köpfe haben es begriffen, allerdings nur die Abteilung Vernunft, aber in der Abteilung Gemüt und Erinnerung, die gleich daneben liegt, bloss durch eine dünne Wand getrennt, da tanzt und singt und trommelt und gestikuliert er, der Narr, der Faun, der Schalk, und ist so offensichtlich am Leben, dass wir uns nicht wundern würden, wenn er irgendwo seinen Kopf hinter einer Säule hervorstrecken würde, weil er noch einen Limerick vortragen möchte, vielleicht:

Da gab‘s einen Herrn im Grossmünster
den dünkte das alles zu finster

und wir wären gespannt, was für einen Reim darauf er in der letzten Zeile finden würde.

Sein Lebenswerk war eben das eines lebendigen, eines quicklebendigen Menschen, und so hat er uns alle erwischt. Sein Tod kam für den grössten Teil seines Publikums überraschend, denn wer Cäsar Keiser bei einer seiner, letzten Bühnenlesungen mit Margrit LäubIl erlebte, hätte nicht vermutet, dass er einen Menschen vor sich hatte, der mit den verschiedensten Krankheiten und Altersgebresten kämpfte. Zwar betrat er die Bühne nicht ohne Schwierigkeiten, aber kaum stand er hinter seinem Pult, war da der instinktsichere Magier, der in seine Texte schlüpfte wie in ein altbekanntes Kostüm und der genau wusste, wie er sich darin zu bewegen hatte. Er kannte den Wirkungsgrad einer Pointe, wusste auch über deren Alchemie Bescheid, die Mixtur von Tempo, Pause und Betonung, die jeden Abend den jeweiligen Bedingungen angepasst werden muss.

Denn Cäsar Keiser war nicht nur ein Textautor und Wortakrobat, sondern auch ein brillanter Vortragskünstler, der seine Texte auf eine Weise inszenierte, dass sie immer auch zum optischen, choreographischen oder musikalischen Genuss wurden. Er war Schauspieler, Sänger, Tänzer, Pantomime, der in seinen genau einstudierten Programmen einen geradezu schweizerischen Präzisionsanspruch an sich selbst hatte.
Er war ein Komiker, der so lange auf den Unzulänglichkeiten des Alltags beharren konnte, bis man das Gefühl bekam, unser Normalbetrieb sei ein Irrenhaus.
Seine Menschen waren häufig Verirrte im Dickicht des Vertrauten, er zeigte uns einen Grotesktanz von lauter Scheiternden, die vergeblich versuchen, des Lebens habhaft zu werden. Sie wollen Zeit gewinnen und verlieren sie, sie wollen nur schnell eine Frage mit dem Telefonamt klären und verlaufen sich im Labyrinth eines Systems, das sie nicht begreifen, oder wenn sie etwas davon begreifen, dann das, dass sie auf jeden Fall die schwächeren sind, sie wollen ihrem Sohn etwas Selbstverständliches erklären und stürzen schon in der Vorbereitung ins Bodenlose. Wenn es die Kunstgattung ad absurdum gäbe, Cäsar Keiser wäre unter ihren Meistern.
Und wäre das Absurde nicht die Rückseite der Wahrheit, würde es uns nicht interessieren. Etwa wie die Werbung funktioniert: eine landesweite Kampagne für ein Mittel wird lanciert, nach dessen Einnahme man keinen Handstand mehr machen kann. „VERITASOL - gegen den Handstand!“ heisst der Slogan, und zwar bis zum Auftauchen eines Querulanten mit seinen zwei Tanten, die das Gegenteil demonstrieren:

Mit Wonne trank er
10 KurNaschen leer
und die Tanten zu zweit
eine Magnumfiasche bis zum Flaschenpfandband -
Und im Verband
standen sie dreifachen Handstand!

Worauf die Werbung nicht etwa zurückgezogen, sondern unverzüglich mit dem Zusatz versehen wird:  VERITASOL
Jetzt neuerdings auch für
den Handstand!“

Eine Nummer aus dem Jahr 1963. Seine Diagnosen des damaligen Zustands der Welt lesen sich aus heutiger Sicht oft wie Prognosen.

Er parodierte die Konsumgesellschaft
mit Gabel, Messer und Tranchierbesteck als Panier bevor auch nur ein einziges Einkaufszentrum stand.
Er parodierte den Boom und den Wohlstand: Überall wächst das Wachstum.
Unvergessen natürlich seine Limericks, in denen Damen aus Grenchen mit alten Helvetern und mit Jungtern aus Arth durcheinander gewirbelt werden, knapp am Abgrund des Sinns. Sein Maurer aus Flims gehört für mich zu den Perlen der schweizerischen Lyrik des 20. Jahrhunderts, jedem Jandl-Gedicht ebenbürtig.

Da gab‘s einen Maurer aus Flims
Dem fiel ein Stück steinerner Sims
Eines Hauses in Flums
Auf den Kopf. er sprach: Bumms
Gottseidank ist der Sims nur aus Bims.

Das war der Humorist und Sprachclown, der diese Verse auf kleinen Papierchen aus seinen Taschen hervorzauberte. Aber von Anfang an gab es in seinen Texten auch härtere Töne zu hören:

Um es in dürre
Worte zu raffen:
es wurde beschlossen
den Menschen abzuschaffen.

Das war der Satiriker, der den Menschen das Üble zeigt, weil er das Gute will.
Und wenn man glaubt, ihn geortet zu haben, tritt auf einmal der Poet auf und überrascht mit Liebesliedern an sein Fingerhüetli, Blüetestäubli, Lindeblüetli, Espeläubli, mit Wiegen- und andern Liedern für seine Kinder und Enkel, voll Hoffnung auf Hoffnung.
In einem Lied über alles, was sein Sohn wissen will, ist seine Antwort:
Ich weiss es nicht - doch hör du nie auf, danach zu fragen.
Das alles war Cösar Keiser, Moralist und Eulenspiegel - ein Gesamtkunstwerk.
Aber er war nicht allein.
In der Tänzerin und Schauspielerin Margrit Läubli hatte er eine Partnerin, die ein wesentlicher Teil dieses Kunstwerks war und die ihn im beruflichen und im privaten Leben in einer Art begleitete, unterstützte und ergänzte, welche das Paar immer unzertrennlicher erscheinen liess.
Mit seinem Sohn Mathis zusammen ist er mehrmals aufgetreten, etwa im makabren Theaterstück „Wer zuletzt stirbt“, und gemeinsam mit seinem Sohn Lorenz, der ja ebenfalls hauptberuflicher Kabarettist geworden ist, ist Cös in den Fernsehsatiren „übrigens..“ Anfang der 90er Jahre nochmals zu einer Glanzform politisch-satirischer Frechheit aufgelaufen.

César Keiser hat die Kabarettszene der letzten 50 Jahre geprägt, und wer immer sich dort tummelte, kam nicht an ihm vorbei. Schon zu meiner Schulzeit war er für mich einer der Könner auf dem Gebiet, dessen ganz persönliche Handschrift ich bewunderte, und als ich 1965 mit meinem ersten Bühnenprogramm im Keller der Uni Zürich auftrat, lud ich ihn mit klopfendem Herzen ein, und siehe da, er kam, zusammen mit Margrit Läubli, und er gab mir ein sehr gutes Echo und war immer für einen Ratschlag ansprechbar. Und so blieb er für mich ein Leben lang, ein freundlicher Mensch und ein menschlicher Freund.
Als Kabarettist wurde man immer auch an ihm gemessen, ob man wollte oder nicht. Als ich 1973 meine Ballade vom „Weltuntergang“ machte, mit einer rhythmischen Klopfbegleitung, sagte mir Ruedi Sauser, der damalige Leiter des Hechtplatz-Theaters: „Pass auf,  dass es nicht wird wie eine Nummer von Cs Keiser.“ Und tatsächlich war für diesen Text, einen Rap avant la lettre, den ich heute noch vortrage, im Hintergrund Cs mit seinen raffinierten Sprechgesängen Pate gestanden.

Im übrigen gehörten Cs und Läubli für mich zu den ersten lebenden Künstlern, die ich näher kennen lernte, und sie korrigierten mein Bild von kettenrauchenden Bohmiens, die sich um die Bourgeoisie foutieren und erst gegen Mittag aus dem Bett winden, denn ich sah hier zwei Menschen an der Arbeit, die es so gut wie möglich machen wollten, und zwar sowohl auf der Bühne als auch im Familienleben. Ihr Versuch, trotz ihrer allabendlichen Beanspruchung auch noch ein ganz normales Elternpaar für ihre Kinder darzustellen, hat mich gerührt, und als mich Cs einmal bat, an seiner Stelle eine Schüleraufführung der Klasse zu besuchen, in der Mathis mitsang, habe ich gemerkt, wie gern er ein Vater wie alle gewesen wäre.
Ja, die Abteilung Gemüt und Erinnerung unserer Köpfe, und eigentlich auch die Abteilung Verstand, hat es schwer, zu akzeptieren, dass er nicht mehr da ist, der Künstler, der Komiker, der Freund, der Ehemann, der Vater, der Grossvater.
Seine Enkelin Giulietta schrieb am Abend nach seinem Tod:
„Um 4:33 Uhr klingelte das Telefon, mein Grossvater konnte dem Todesschleier nicht entgehen. Er musste, wie alle, jetzt zu den Engeln in dem klaren Nachthimmel funkeln gehen.“


Lieber Cés, es ist schön, wenn du dort oben funkelst, aber hier unten fehlst du uns.


Franz Hohler

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