Abdankung César Keiser, 12. März 2007, Grossmünster Zürich Im
Anfang war das Wort, und
das Wort war bei Gott, und
das Wort war Gott. Liebe Margrit Läubli, lieber Mathis und Lorenz Keiser mit Euren
Familien, liebe Frau Rüegsegger mit Ihrer Familie, liebe Verwandte, Freunde und
Freundinnen von Cesar Keiser, liebe Trauergemeinde Am Schluss war der
Tod. Der Tod kommt zu jedem Menschen. Und er kommt, um unser Leben zu beenden.
Er beendet unser Leben, indem er mit ihm tanzt. „Apropos Totentanz“ – so heisst
die Überschrift auf dem Stück Papier, das seit Wochen an der Tür im obersten
Stock des Hauses in der Keiser-Läubligasse im Englischviertel nahe vom
Grossmünster hing. César Keiser schrieb aufs Papier: „Sollte sich der von mir doch
recht freundschaftlich und familiär apostrophierte TOD VON BASEL früher als
angenommen melden, dann ist da nichts zu machen – früher oder später ist es
auch für mich Zeit für einen kleinen Totentanz – Seid nicht allzu traurig
darüber, ich werde diesen letzten Tanz . wie viele vorher schon auf der Bühne
mit Anstand überstehen.“ Er, der war von
Basel, wusste seit Kindsbeinen um ihn, den Tod von Basel. Im Juni vom letzten
Jahr schrieb er einen Brief ihm, dem Tod mit seinem Tanz. „Du, mein lieber Tod
zu Basel. Wir kennen uns seit langer Zeit – fast schon ein (- mein - ) Leben
lang! Mit Dir und bei dir bin ich aufgewachsen, am Totentanz im Haus Nr. 10
direkt am Rhein. Die Häuser am Totentanz und am anschliessenden Blumenrain,
wohin wir wenige Jahre später wechselten, gingen rückwärts direkt auf den
Rhein, der die Stadt durchschneidet…. Ab und zu schicktest du…eine Kuh, die
irgendwo ins Wasser gefallen war und nun aufgedunsen wie ein Riesenspielzeug,
alle Viere von sich strekend abwärts schwamm. Der Blick nach vorne ging zur
Kirche St.Johann. Vor der Kirche ein kleiner baumbestandener Platz, benützt als
Haltestelle für das Tram, das von der Stadt via Totentanz bis zum St.
Johanns-Tor fuhr. Der Platz hatte nach vorne eine Abschlussmauer, darauf warst
du, lieber Tod, aufgemalt, schon ziemlich havariert und abgeblättert – und
trotzdem immer präsent. Präsent jedenfalls, als mich, als Gimischüler, eine
Angina mit Sepsis ins Bett legte und Doktor Rupf, der Hausarzt, eine harmlose
Erkältung diagnostizierte. Präsent auch, als das Resultat weiterer Erkältungen
zu einer allgemeinen Herzschwäche und monatelanger Bettlägerigkeit führte… ich
habe dich ein Leben lang kennengelernt – und ich weiss, dass du – das ist
schliesslich deine Bestimmung – unerbittlich wartest, vorerst noch vergeblich –
aber du hast Zeit, im Gegensatz zu mir – Wart noch weiter, wart bitte weiter,
lass mich noch auf der Warteliste – schon wegen all der Lieben, die sich
freuen, wenn mir das Warten nicht lang wird!“ Ihr Lieben, der Tod
hat gewartet bis zum Sonntag, 25. Februar. Und ein letztes Mal war er präsent,
so präsent, dass er endgültig César Ihnen, Margrit Läubli, aus den Händen riss.
Er beendete – zwar seit längerer Zeit durch die Anzeichen der Krankheit
erwartet, dennoch so unglaublich hart –
ihre gemeinsame Zeit auf Eurer geliebten Bühne und in Eurer intensiv
miteinander geteilten Liebe. Wir hörten schon viel über das Wirken von Cesar in
engster Verbindung mit Ihrem gemeinsam geteilten Leben. In einem unseren
Begegnungen brachten Sie, Margrit Läubli, all die wunderbaren Facetten und der
Reichtum Eures gemeinsamen Schaffens und Lebens auf dem Punkt: „Am Anfang, am
Anfang war das Wort.“ Am Schluss war der
Tod, gewiss. Solche Wirklichkeit ist von einem unbekannten Künstler an die
Kirchenmauer zu St. Johann gemalt. Doch es gilt auch: Im Anfang war das Wort. Und diese Wahrheit ist innerhalb der
Kirchenmauer festgehalten, niedergeschrieben im grossen Buch der Bücher. Das
Nein des Todes zum Leben bekommt Konkurrenz vom Ja der Liebe. Und weil Kirchen
Gedächtnis dafür sind, dass Gott Liebe ist, erinnert sie unermüdlich daran,
dass im Anfang das Wort war, und das Wort
war bei Gott, und Gott selber war das Wort. Nun wissen wir,
liebe Gemeinde, sehr genau, dass solche Worte, die wie aus dem Nichts Leben
hervorbringen, geteilte Worte sind, gemeinsame Worte, die auf der Bühne der
Geselligkeit nun zum Tanz der Liebe einlädt. Von Anfang an ist die gesellige
Gottheit am Werk, schreibt Kurt Marti, selber Künstler des einen Wortes: „Von
Ur an: Gott in Geselligkeit, Gott mit Sophia, der Frau, der Weisheit, geboren,
noch eh alles begann. Sie spielte vor dem Erschaffer umspielte, was er
geschaffen, und schlug, leicht hüpfend von Einfall zu Einfall, neue
Erschaffungen vor: Warum nicht einen anmutig gekurvten Raum? Oder Materie,
schwebend, fliegend, rotierend? So sei es, lachte Gott, denn alles ist möglich,
doch muss Ordnung ins Ganze – durch Schwerkraft zum Beispiel. Dazu aber
wünschte sich Sophia sich ebensoviel Leichtigkeit. Da ersann Gott die Zeit. Und
Sophia klatschte in die Hände. Sophia tanzte, leicht wie die Zeit, zum wilden
melodischen Urknall, dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen, Räume, Zukünfte,
erste Vergangenheiten – der kosmische Tanz, das sich ausdehnende All. Fröhlich
steckte Sophia Gott die Arme entgegen. Und Gott tanze mit.“ Ist es so abwegig,
zu denken, dass aus diesem Wort, das am Anfang war und eben Gott war, - dass
aus dieser göttlichen Kraft und Inspiration nun eben auch Töne, Wirbel und opus
bei Cesar Keiser entstanden, Soloprogramm und opus 2-13, frisch geliftet gegen
Ende, und seit Anfang immer im Tanz mit seiner Frau. Als Mann und Frau erschuf
im Anfang Gott den Menschen. In solch intensiv gelebter Zweisamkeit, die
Heiteres und Ernstes im Worte reimt zum beglückenden Ton, spiegelt sich die
göttliche Kraft der Geselligkeit. Ich kann mir den Ursprung der unglaublich
grossen Inspiration, die in den Werken Cesar Keiser gewirkt und in ihrer
Gestaltkraft Gehör in unseren Landen verschaffte, nicht anders vorstellen als
in jenem Ur-Wort der Liebe. Und solche Worte, so habe ich von César Keiser
gelernt, werden gesprochen auf jener Bühne, auf der Nächstenliebe und Ehrfurcht
vor dem Leben, Respekt vor dem Menschen und Achtsamkeit für das alltägliche
Selbstverständliche von geteiltem Leid und doppelter Freud spielend gelebt
wird. Oh ja, wer vereint über 50 Jahre das Leben miteinander teilt, weiss, dass
solch Worte der Liebe darauf aus sind, dass sich das Du zu ihm gesellt, alle
Tage und zu jeder Zeit. Liebe Gemeinde,
Gott gesellt sich zu jedem, darin gleicht Gott dem Tod. Die Gedenkfeier von
Cesar Keiser erinnert daran, dass es zwar seit Kindsbeinen an bestimmt ist,
neben dem Totentanz aufzuwachsen und auf seiner Warteliste zu stehen. Doch
nicht nur der Tod mit seinem Tanz, sondern auch Gott mit seinem Wort kommt zu
jedem Menschen. Aber im Gegensatz zum Tod kommt er nicht, um unser Leben zu
beenden, sondern um es zu wenden. Der Sonntag, an dem Cesar Keiser starb, ist
selbst diese Wende. Nicht, dass der Tod
nun in seiner noch so havarierten Gestalt nicht mehr käme. Nicht, dass uns das
Sterben erspart bliebe. Der Tod wird kommen, er wird zu jedem kommen. Die
mittelalterlichen Totentänze haben das in bisweilen makabrer Weise vor Augen
geführt: zu jedem kommt er und mit jedem geht er, nein: tanzt er davon. „Drum sperrt
Euch nicht, Ihr müsst davon und tanzen nach meiner Pfeifen Ton“, heisst es im
Balser Totentanz. All diese Bilder der grossen Meister sind gefährliche
Erinnerungen: Erinnerungen an eine uns bedrohende, unserem Leben ein Ende
setzende Zukunft. Ein Bild allerdings fehlt. Es fehlt Gott im Totentanz. Das
Bild fehlt wohl deshalb, weil sich das einfach nicht malen lässt: Gott im
Totentanz. Eine ungewöhnliche, eine gefährliche Vorstellung, aber
ausschliesslich nur für den Tod gefährlich! Gott im Totentanz –
das ist einer, der aus der Reihe tanzt, der mitten im Tod nicht nach dessen
Pfeife tanzt. Gott im Totentanz, das gibt dem Ganzen eine andere Richtung und
führt auf die Bühne der Freiheit. Denn Gott im Totentanz – das führt aus der
Leidenszeit hin zu Ostern. An Ostern erinnern
wir uns, dass das Wort, das im Anfang war, und bei Gott war, und Gott war,
Fleisch wurde und unter uns wohnte und mitten im Tod an Karfreitag nicht nach
dessen Pfeife tanzte. Sondern er, der doch war wie Gott, gab dem Ganzen eine
andere Richtung und führte den Menschen hin zu Freiheit. Befreites Leben ist
schön, in ihm scheint der Glanz Gottes auf. Und schönes Leben hofft, in jedem Opus
des Lebens ein Stück des ewigen Lebens zu entdecken. S isch nämli au
schön, das Läbe. So schrieb César Keiser seinen Enkeln und so steht es auf
seiner Todesanzeige. Er starb am Sonntag, also an jenem Tag, wo seit
Jahrtausenden Menschen sich an Ostern erinnern. Es kann sein, dass zukünftig
beim Lesen zwischen den Zeilen die Schönheit und der Glanz des ewigen Lebens
aufscheint.
S isch nämli au schön, Amen.
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